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Qualzucht bei Katzen: Leiden für den Schönheitswahn?

10.04.2024 - Lesedauer: 8 Minuten

Eine braune Peterbald Katze.

So außergewöhnlich wie liebenswürdig - die Peterbald besticht durch ihre Freundlichkeit und ihre Gutmütigkeit.

Schlappohren, Kurzköpfigkeit, Skelettdeformationen: Worunter Qualzucht-Katzen lebenslang zu leiden haben.

In der Hundewelt spaltet das Thema Qualzucht Hundefans seit Jahrzehnten in verschiedene Lager. Andere Haus- und Nutztiere werden aber oftmals im Zusammenhang mit Qualzuchten vergessen. Dabei sind von den Fischen bis hin zu den Ziervögeln viele Tiere betroffen. So auch das liebste Haustier der Deutschen, die Katze: Viele begehrte Rassekatzen zeigen deutliche Qualzuchtmerkmale. Welche das sind und worunter die betroffenen Samtpfoten leiden, erklären wir in diesem Ratgeber.

Was ist eine Qualzucht?

Kulleraugen, Stupsnase und kurze Beinchen – das Zuchtziel ist häufig, ein niedliches Äußeres zu kreieren, das Menschen unwiderstehlich finden. Dabei greifen Züchter gerne in die Trickkiste des Kindchenschemas: Die Proportionen und Gesichtszüge von Tierkindern lösen in uns den Schlüsselreiz aus, uns um die süßen Kleinen zu kümmern. Wenn man davon absieht, dass auch Katzen, die lebenslang wie ein Tierkind aussehen, ein erwachsenes Raubtier werden und dementsprechend behandelt werden sollten, entstehen bei dieser Art der Zucht aber häufig auch Tiere, die mit erheblichen Einschränkungen leben müssen.

In Paragraf 11b regelt das Deutsche Tierschutzgesetz, was unter einer Qualzucht zu verstehen ist. Verkürzt und vereinfacht heißt es dort: Wenn erwachsenen Tiere (gemeint sind hierbei alle Wirbeltiere) oder ihren Nachkommen aus erblichen Gründen (also zuchtbedingt) Körperteile oder Organe fehlen oder ihr Körper so umgestaltet ist, dass sie dadurch Schmerzen oder Einschränkungen erleiden, handelt es sich um eine Qualzucht. Dabei sind alle physischen oder psychischen Erkrankungen, die durch die Zucht entstehen und zu Leiden, Beeinträchtigungen oder Untauglichkeit des Tieres führen, als Qualzuchtmerkmale zu bewerten.

Trotz der gesetzlichen Grundlage und obwohl die Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimzucht in einem vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung beauftragten Gutachten Qualzuchtmerkmale für Katzen festgelegt hat, heißt es nicht, dass die Zucht dieser Katzen in Deutschland verboten ist. Gerade in den letzten Jahren ist ein Trend hin zu Qualzucht-Rassekatzen zu beobachten. Sachkundige gehen davon aus, dass verschiedene Qualzuchtrassen durch die Social-Media-Kanäle bekannter „Catfluencer“ besonders beliebt geworden sind.

Welche Qualzuchten kommen bei Katzen vor?

Ausprägungen von Qualzuchten

    • Chondrodysplasie (disproportionierter Zwergenwuchs) und Skelettdeformationen
    • Fellanomalien und Haarlosigkeit
    • Polydaktylie (Vielfingrigkeit)
    • Kurzschwänzigkeit oder Schwanzlosigkeit
    • Brachyzephalie (Kurzköfpigkeit)
    • Anomalien der Ohren
    • Aufhellung der Fell- und Augenfarbe
Munchkin Katze mit kurzen Beinen

Chondrodysplasie (disproportionierter Zwergenwuchs) bei Katzen

Hoppeln wie ein Häschen muss die Munchkin oder Dackelkatze. Durch die stark verkürzten Beine sind die Tiere in ihren artspezifischen Bewegungsabläufen stark eingeschränkt. So können sie weder springen, klettern noch jagen. Der damit einhergehende Bewegungsmangel führt häufig zu Übergewicht. Aber auch sekundäre Erkrankungen wie Arthritis, Arthrose und Bandscheibenvorfälle kommen bei Dackelkatzen häufig vor.

Die verkürzten Gliedmaßen entstehen durch die Erbkrankheit Chondrodysplasie: Sie führt zu eine Fehlbildung der langen Röhrenknochen und somit zur Verkürzung der Beine. In schweren Fällen der Chondrodysplasie kommt es darüber hinaus zu Lungen- und Zahnerkrankungen, neurologischen Beschwerden und diversen Organ- und Hormonstörungen. Bei der Zucht müssen Munchkin-Katzen mit regulären Katzen verpaart werden, denn die Embryos aus der Paarung zweier Dackelkatzen sind nicht lebensfähig und sterben meistens bereits im Mutterleib.

Katzenrassen mit Chondrodysplasie:

    • Munchkin-Katze (Dackelkatze)
    • Minskin
    • Minuet
    • Lambkin

Fellanomalien und Haarlosigkeit bei Katzen

Ein Gendefekt, der die Keratinbildung stört, ist für das fehlende Fell bei Nacktkatzen verantwortlich: Die Haare brechen bereits in einem frühen Entwicklungsstadium ab, sodass sich kein Fell bilden kann. Davon ist bei Nacktkatzen nicht nur das Körperfell betroffen, sondern auch die Tasthaare. Die Tasthaare (Vibrissen) sind für Katzen ein wichtiges Sinnesorgan, das ihnen bei der Jagd und bei der Orientierung hilft. Auch kommunizieren Katzen über ihre Tasthaare. Ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2015 macht es deutlich: Der Verlust ihrer Schnurrhaare ist als Schaden für die Katze und damit als Qualzucht anzusehen.

Nacktkatzen wie die Sphynx und Kohana sind Witterungseinflüssen hilflos ausgesetzt: Sie müssen geschützt werden vor Kälte, Zugluft und Sonnenbrand. Aber auch beim Jagen und Spielen sind die Tiere eingeschränkt, weil sie sich durch das fehlende Fell leichter verletzen. Sie neigen zu Haut- und Zahnerkrankungen und haben genetisch bedingt ein erhöhtes Risiko für Herzmuskelerkrankungen (hypertrophe Kardiomyopathie). Auch in der Kommunikation mit Artgenossen und anderen Tieren ist die Nacktkatze eingeschränkt, da sie beispielsweise ihr Fell nicht sträuben kann.

Bei den Rex-Katzen, den Peterbald-Katzen und den Lykoi-Katzen wird ein eingeschränktes oder anomales Haarwachstum gezüchtet. So kommt es bei ihnen zu schütterem oder lockigem Fell. Auch verkürzte, gekräuselte oder fehlenden Tasthaare kommen bei diesen Rassen vor. So treten bei ihnen dieselben Probleme wie bei den Nacktkatzen auf – nur in abgeschwächter Form.

Katzenrassen mit Fellanomalien und Haarlosigkeit:

Polydaktylie (Vielfingrigkeit) bei Katzen

Normalerweise haben Katzen 18 Zehen: fünf an jeder Vorderpfote und jeweils vier an den beiden Hinterpfoten. Durch eine bestimmte Genmutation kommt es bei Katzen häufiger zur Vielfingrigkeit. Meist haben die Tiere dann sechs Zehen an jeder Vorderpfote und fünf Zehen an jeder Hinterpfote – also 22 Zehen anstatt 18. Es ist umstritten, ob die Samtpfoten unter der Polydaktylie tatsächlich leiden. Bei der Main Coon Katze tritt die Vielfingrigkeit besonders häufig auf: So sollen 40 Prozent der Tiere überzählige Zehen haben. In den USA wird die Polydaktylie gar gezielt gezüchtet. Vielfingrige Katzen werden dort als „superscratcher“ bezeichnet und man geht davon aus, dass die Tiere Vorteile beim Beutefang und Klettern haben.

In Deutschland empfiehlt das Gutachten zur Auslegung des § 11b des Tierschutzgesetzes der Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimtierzucht, Katzen mit Polydaktylie von der Zucht auszuschließen.

Katzenrassen mit Polydaktylie:

Manx steht auf einer Wiese

Kurzschwänzigkeit und Schwanzlosigkeit bei Katzen

Der Katzenschwanz hat mehrere wichtige Funktionen: Zum einen hält die Katze damit beim Laufen, Springen und Klettern die Balance, zum anderen nutzt sie ihn für die Kommunikation. Fehlt der Samtpfote also der Schwanz, ist sie deutlich in ihren Bewegungsmöglichkeiten und ihrem artgerechten Verhaltensrepertoire eingeschränkt. Hinzu kommt, dass bei der Züchtung auf verkürzte oder ganz fehlende Schwänze bei den verschiedenen Rassen zusätzliche Missbildungen entstehen: So treten vermehrt eine offene Wirbelsäule (Spina bifida) oder Gehirnmissbildungen auf und manche Katzen sind von Stuhl- und Harninkontinenz, Darmvorfällen oder Lähmungen betroffen.

Es werden unterschiedlich ausgeprägte Verkürzungen der Schwanzwirbelsäule gezüchtet: verkürzte aufgerollte Schwänze, kurze gerade Schwänze (tailed), Stummelschwänze (rumpy rise, stumpy) und völlig schwanzlose Katzen (rumpy).

Kurzschwänzige und schwanzlose Katzenrassen:

Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit) bei Katzen

Ein Leben lang atemlos – ein Schicksal, das vor allen Dingen Perserkatzen und Exotic Shorthairs heimsucht. Beide Rassen werden auf extreme Kurzköpfigkeit hin gezüchtet. Ihr Kopf ist rundlich, das Gesicht wirkt eingedrückt und flach, die Nase ist kaum vorhanden und der Unterkiefer steht vor. Als Extremform gilt das sogenannte „peke-face“: ein Gesicht, das an ihren Leidgenossen unter den Hunden, den Pekinesen, erinnern soll. Hier ist die Nase auf gleicher Höhe wie die unteren Augenlider und die Nasenlöcher stehen dicht beieinander und sind verengt.

Die Bundestierärztekammer rät dringend von diesen Züchtungen ab, denn für die Tiere sind die Folgen gravierend: Ihr Nasengang und Rachen sind so verengt, dass sie nur eingeschränkt atmen können. So ist ihre Konstitution – insbesondere in den Sommermonaten – durch die Kurzatmigkeit stark eingeschränkt und sie haben durch die mangelhafte Möglichkeit der Thermoregulation ein hohes Risiko, einen Hitzschlag zu erleiden. Bei Operationen haben die Samtpfoten ein stark erhöhtes Narkoserisiko. Schlafstörungen und Belastungsintoleranz auch außerhalb der Sommermonate treten häufig auf. Darüber hinaus sind die hervortretenden Augen ständigen Reizungen ausgesetzt, wodurch es zu Bindehautentzündungen und Augenausfluss kommen kann. In den Hautfalten oberhalb der Nase können sich Pilze und Bakterien ansiedeln, vermehren und dadurch zu häufigen, schmerzhaften Infektionen führen. Die mit der Brachyzephalie verbundenen Beeinträchtigungen werden zusammengefasst unter dem Begriff des brachyzephalen obstruktiven Atemwegssyndroms (BOAS).

Katzenrassen mit Brachyzephalie:

    • Perserkatze
    • Exotic Shorthair

Anomalien der Ohren bei Katzen

Die charakteristischen Faltohren, die zum Beispiel die Scottish Fold zeigt, gehen auf eine Genmutation zurück. Durch die Mutation wird der Knorpel der Ohrmuschel zerstört. Doch leider macht die Mutation nicht beim Ohr halt: Sie führt zu schmerzhaften Deformationen des Skeletts, zu Schäden an den Wachstumsfugen und Gelenken. An der unheilbaren Erbkrankheit Osteochondrodysplasie (OCD), einer Knochen- und Knorpelfehlentwicklung, leidet jede schottische Faltohrkatze und jeder ihrer Mischlinge. Manche erkranken bereits im Kittenalter, manche erst im Erwachsenenalter. Sie leiden lebenslang unter Schmerzen bei jeder Bewegung. Die Symptome reichen von Lahmheit über Bewegungsunlust, Arthrose, Gangbildstörungen, Berührungsschmerz bis hin zur kompletten Bewegungsunfähigkeit. Zudem sind Faltohren in der Katzenkommunikation unbrauchbar und neigen zu Ohrenentzündungen und Milbenbefall .

Katzenrassen mit Anomalien der Ohren

    Scottish Fold
    • Highland Fold
    • Ukrainische Levkoy
    • Pudelkatze

Aufhellung der Fell- und Augenfarbe bei Katzen

Angeborene Taubheit ist viel zu häufig der Preis für das reinweiße Katzenfell – zumindest, wenn explizit auf die weiße Fellfarbe hin gezüchtet wird. Für das reinweiße Fell, meist in Kombination mit blauen Augen, sorgt das W-Gen: Reinerbige Katzen mit dem W-Gen leiden zu 43 Prozent unter Taubheit, mischerbige haben ein Risiko von 23 Prozent. Bei den betroffenen Katzen ist mit schweren Defekten des Innenohrs (Schwerhörigkeit, Taubheit) sowie mit Schädigungen des Augenhintergrunds (eingeschränkte Nachtsicht, Nachtblindheit) zu rechnen. Weiße Katzen haben außerdem ein erhöhtes Risiko für Hauttumore.

Diese gravierenden Defekte stellen nicht nur einen körperlichen Schaden dar, sondern beeinträchtigen auch das artgemäße Verhalten der Katzen – also die Sozialkontakte, die Orientierung in der Umwelt, das Jagdverhalten und vieles mehr. Das Qualzuchtgutachten empfiehlt ein Zuchtverbot für alle weißen Katzen, die Träger des W-Gens sind, und für Tiere mit bereits festgestellten Hör- und Sehstörungen.

Katzenrassen mit aufgehelltem Fell oder Augen:

Wenn du den Tieren helfen und ihr Leiden beenden möchtest, solltest du keine der betroffenen Katzenrassen kaufen. Denn solange diese Rassen gekauft werden und das Geschäft mit ihrem Leid profitabel ist, werden sie weiter gezüchtet. Wenn du eine Samtpfote bei dir aufnehmen möchtest, achte darauf, dass sie eine gut erkennbare Nase, aufrechte Ohren, ein dichtes Fell, lange Beine und einen gut ausgeprägten Schwanz hat. Und mal ganz ehrlich: Sorgen nicht gerade diese Merkmale dafür, dass Katzen so besonders schön und elegant aussehen?