Qualzucht: Welche Tiere für ihr Aussehen leiden müssen
05.12.2024 - Lesedauer: 11 Minuten
Besonderes Fell, süße Stubsnasen, außergewöhnliche Augen: Es sind Merkmale an unseren Haustieren, die unsere Lieblinge vielleicht besonders machen. Doch was viele Tierbesitzer:innen nicht wissen: Genau diese Äußerlichkeiten können gesundheitlich große Schäden anrichten. Bei Hunden, Katzen, aber auch bei Kleintieren, Fischen und Vögeln. Deshalb spricht man bei einigen Rassen von Qualzucht. Doch woran erkennt man eine Qualzucht – und welche Rassen sind betroffen? Wichtige Antworten dazu hat Lisa Hoth-Zimak vom Deutschen Tierschutzbund.
Was versteht man unter Qualzucht?
Lisa, oft wird der Mops als Beispiel genannt, wenn es um Qualzuchten geht. Was versteht der Deutsche Tierschutzbund unter diesem Begriff?
Der Begriff Qualzucht bezieht sich nicht allein auf eine Rasse, sondern auf Merkmale, die gehäuft bei bestimmten Rassen auftreten. Manche sind bewusst herbeigeführt, etwa optische Merkmale wie die Faltohren von Scottish Fold Katzen. Andere sind nicht erwünscht, aber bei der Zucht entstanden, etwa das Auftreten von Allergien oder Hüftgelenksdysplasien. Wie stark ausgeprägt diese Merkmale sind, kann sich sogar innerhalb eines Wurfes unterscheiden.
Und wie ist es nun beim Mops?
Der Mops zählt neben anderen Hunden wie Boxer, Chihuahua oder Cavalier King Charles Spaniel zu den brachycephalen, also kurz- oder rundköpfigen Rassen. Damit verknüpft ist zwar in erster Linie das Atemnotsyndrom, allerdings gibt es darüber hinaus noch viele weitere Erkrankungen dieser Rasse wie Allergien, die Neigung zu Übergewicht, Augenerkrankungen oder Wirbeldeformationen. Die Kurzköpfigkeit ist übrigens nicht nur bei Hunden, sondern auch bei Katzen (etwa Perser) und auch Kaninchen (insbesondere Zwergkaninchen) zu finden. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes ist der Begriff Qualzucht daher sehr vielfältig und auch wenn bereits im §11b des Tierschutzgesetzes ein Qualzuchtverbot vorliegt, lässt die Umsetzung leider unter anderem aufgrund dessen zu wünschen übrig.
Gibt es auch eindeutige Fälle?
Haarlosigkeit ist ein Qualzuchtmerkmal. Die Zucht von Nacktkatzen – insbesondere Sphynxkatzen – wurde bereits in einzelnen Urteilen verboten. Bei den Nackthunderassen liegen hingegen noch zu wenig Studien vor, dennoch muss auch hier individuell geprüft werden, ob ein Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden davonträgt.
Tierschutzgesetz §11b
(1) Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch biotechnische Maßnahmen zu verändern, soweit im Falle der Züchtung züchterische Erkenntnisse oder im Falle der Veränderung Erkenntnisse, die Veränderungen durch biotechnische Maßnahmen betreffen, erwarten lassen, dass als Folge der Zucht oder Veränderung
- bei der Nachzucht, den biotechnisch veränderten Tieren selbst oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten oder
- bei den Nachkommen
a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten,
b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c) die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.
Reptilien, Fische, Ziervögel und Nutztiere werden oftmals im Zusammenhang mit Qualzuchten vergessen. Dabei sind alle physischen oder psychischen Erkrankungen, die durch die Zucht entstehen und zu Schmerzen, Leiden oder Schäden des Tieres führen – egal um welche Tierart es sich handelt –, als Qualzuchtmerkmale zu verstehen.
Qualzucht bei Hunden
Hier ist eine Auswahl von Hunderassen, denen gesundheitsschädliche Merkmale angezüchtet wurden.
- Mops, Französische Bulldogge, Englische Bulldogge: Das Kindchenschema (kurze Nase, große Augen, verkürzter Gesichtsschädel) kann zu ständiger Atemnot führen. Durch die verkürzte Nase muss das Tier immerzu hecheln. Es leidet unter einer gestörten Temperaturregulation, oft schon bei geringsten Belastungen. Im Sommer besteht schnell die Gefahr eines Hitzschlags. Durch die Oberkieferverkürzung kann das Gebiss oft nicht schließen. Die Zähne haben keinen Platz! Der Hund kann schlecht abbeißen, leidet meist unter Zahnschmerzen. Die großen Kulleraugen entstehen durch die angezüchteten flachen Augenhöhlen. Die Hunde haben oft Probleme mit ihrer Sehfähigkeit und die Augen entzünden sich sehr oft. Auch Probleme mit Hüftgelenksdysplasie sind häufig. Das ist eine Fehlentwickung des Hüftgelenks, die für betroffenen Tiere zu starker Bewegungseinschränkung und starken Schmerzen führen kann.
- Hund mit Merle-Faktor: Collies, Deutsche Doggen, Dackel, Shelties, Corgies und Australian Shepherds werden häufig mit dem Merle-Gen gezüchtet. Durch das Erzeugen einer Genmutation werden die Pigmente der Hundehaare gestört: es entsteht helleres, geflecktes oder geschecktes Fell. Außerdem kommen die Tiere oft mit zwei verschiedenen Augenfarben auf die Welt, etwa einem blauem und einem weißen. Diese Genveränderung kann zu vielen gesundheitlichen Problemen führen, besonders, wenn sich zwei Merle-Hunde paaren. Welpen können einseitig oder beidseitig taub sein, da das Innenohr fehlgebildet ist. Manchmal entsteht eine Spaltenbildung in den Augenhäuten, weswegen einige Welpen blind werden. Auch Herz, Knochen und Geschlechtsteile der Tiere können verformt sein.
- Deutscher Schäferhund: Der stark abfallende Rücken, der über Jahre angezüchtet wurde, kann durch falsche Belastung zu schmerzhaften Schmerzen in Hüfte und Rücken führen. Jeder fünfte Schäferhund ist betroffen. Spielen, aufstehen und weites Laufen fällt den Hunden besonders schwer.
Qualzucht bei Katzen
Hier ist eine Auswahl von Katzenrassen, denen gesundheitsschädliche Merkmale angezüchtet wurden.
- Perserkatze: Ähnlich wie bei Möpsen und Bulldoggen leiden Perserkatzen unter der Kurzköpfigkeit. Der verkürzte Oberkiefer sorgt oft für eine Fehlstellung des Kiefers durch eine Zahnfehlstellung. Das Tier hat so Probleme zu fressen. Auch hier sind die Atemwege und Tränenkanäle verkürzt. Die Tiere bekommen schlecht Luft, leiden oft unter Augeninfektionen (Augenausfluss und Bindehautentzündungen).
- Sphinxkatzen: Die komplette Haarlosigkeit bei dieser Rasse führt dazu, dass sich die Katzen komplett atypisch verhalten. Gründe dafür gibt es viele: Der sogenannten Nacktkatze fehlt das Fell und damit ein wichtiger Schutz. Das Tier ist bei Kälte ständig damit beschäftigt, Wärme zu produzieren. Das verbraucht viele Kalorien, die Katze braucht also deutlich mehr Futter. Im Sommer hingegen droht schnell der Sonnenbrand, da dem Tier der Schutz gegen die Sonne fehlt. Da den meisten Sphinxkatzen die Tasthaare fehlen, kann das arme Geschöpf weder mit anderen Tieren kommunizieren noch Gegenstände ertasten. Auch in der Dunkelheit haben sie große Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden.
- Scottish Fold: Bei dieser Rasse werden die Katzen oft mit Hänge- oder Faltohren gezüchtet, die die Katzen stark einschränken: Denn die Ohren gelten als Signalgeber und haben eine wichtige Funktion bei der Kommunikation mit Artgenossen. Mit den veränderten Genen kommen oft auch Schäden in Knochen und Gelenken, die zu schmerzhaften Bewegungsstörungen führen können.
- Manx, Cymic, Bobtail-Rassen: Das Merkmal dieser Rassen ist die angezüchtete Schwanzlosigkeit. Dabei braucht eine Katze ihren Schwanz zum Balancieren beim Laufen, Klettern und Springen. Auch für die Kommunikation ist er notwendig: Sie signalisiert mit ihrer Schwanzhaltung ihren Gemütszustand, etwa beim Wedeln, Haaresträuben und bei der Steilstellung. Der Gendefekt sorgt bei diesen Rassen auch für körperliche Beschwerden, besonders in der Hinterhand, die normalerweise mit der Schwanzlänge gekoppelt ist. Probleme des Rückenmarks, im Beckenbereich (gepaart mit Kotabsatzstörungen) oder Schädigungen im Enddarm sind nicht selten.
Hier liest du mehr über das Thema Qualzuchten bei Katzen und die betroffenen Rassen.
Qualzucht bei Kleintieren
Auch bei Kaninchen und Meerschweinchen kommen Qualzuchten vor. Hier ist eine Auswahl:
- Angorakaninchen: Das lange Fell mag vielleicht schön sein – für das Tier ist diese Züchtung sehr gefährlich. Da die Wolle ständig nachwächst, muss das Kaninchen vier bis fünf Mal im Jahr geschoren werden. Und das ist Stress pur für das sensible Fluchttier. Das überlange Fell sorgt – gerade im Sommer – immer wieder für Hitzestau und Fliegenmadenbefall. Ein großes Problem ist die Entstehung sogenannter Bezoare: Wenn das Kaninchen beim Putzen Haarballen verschluckt, kann das zu gefährlichen Verstopfungen führen.
- Albinokaninchen: Wegen des fehlenden Melanins kommt es zu den typischen Merkmalen wie weißes Fell und rote Augen. Letzteres kann böse Folgen haben: Viele Kaninchen leiden unter stark reduzierte Sehfähigkeit, Kurz- oder Weitsichtigkeit. Sie haben dazu Probleme mit räumlichem Sehen sowie damit, Kontraste zwischen hell und dunkel wahrzunehmen. Dazu sind sie sehr lichtempfindlich und sollten nur im Schatten gehalten werden. Wegen des hellen Fells und den hellen Hautpartien neigen sie zudem dazu, schnell einen Sonnenbrand zu bekommen.
- Widderkaninchen: Die Schlappohren sind vielleicht niedlich, werden aber oft so lang gezüchtet, bis sie auf den Boden hängen. Diese unnatürliche Länge sorgt für eine Einschränkung in der Bewegung und im Sichtfeld. Häufig kommt es zu Verletzungen und Ohrenentzündungen, da die Ohren nicht ausreichend belüftet werden. Außerdem sind sie auch beim Fressen im Weg. Durch die abgeknickten Gehörgänge nehmen die Tiere auch Schallwellen schlechter wahr.
- Satinmeerschweinchen: Das lange, glänzende Fell ist sehr bekannt. Die Haare glänzen, weil sie innen hohl sind und so das Licht besser reflektiert. Aber der Gendefekt, der bei der Züchtung entstanden ist, bringt viele Krankheiten mit sich. Sie betreffen oft Kiefer und Hüftgelenk, weil aufgrund einer Stoffwechselstörung den Knochen kein Calcium zugeführt wird. Die Tiere können sich also weder richtig bewegen noch richtig kauen.
- Nacktmeerschweinchen: Die Rassen „Skinny“ oder „Baldwin“ werden haarlos gezüchtet. Die Tiere haben teilweise weder Fell noch Wimpern oder Tasthaare. Dabei sind Tasthaare überlebenswichtig. Da es kein sonst schützendes Fell gibt, sind diese Meerschweinchen nicht nur der Sonne, sondern auch bei Streitereien den Bissen ihrer Artgenossen hilflos ausgesetzt. Durch das angeschlagene Immunsystem sind sie besonders anfällig für Krankheitserreger.
Qualzucht bei Fischen
Was kaum jemand weiß: Bei Fischen kommen auch Qualzuchten vor – hier eine Auswahl:
- Papageienbuntbarsche: Bei der extrem gezüchteten Zuchtform bezieht sich der Name auf das extrem verkleinerte, verengte und schnabelförmige Maul, das die Fische nicht mehr schließen können. Nicht nur Kiemendeckel und Kiefer weisen Missbildungen auf, bei manchen Züchtungen fehlen Schwanzstil und -wurzel sowie die Rückenflosse. Ebenso leiden die Tiere unter einer verkrümmten Wirbelsäule. So sind diese Tiere in ihrer natürlichen Bewegung eingeschränkt, können auch nicht mehr richtig Nahrung aufnehmen.
- Pompom-Goldfisch: Durch Wucherungen im Nasenbereich kommt es zu Problemen bei der Nahrungsaufnahme. Auch das Sichtfeld ist deutlich eingeschränkt.
- Löwenkopf: Diese Goldfisch-Zucht verursacht eine enorme Wucherung auf dem Kopf. Die Einschränkung des Sichtfeldes bereitet den Tieren große Probleme. Bei totaler Überwucherung der Augen kann der Fisch komplett erblinden.
Qualzucht bei Vögeln
Was kaum jemand weiß: Bei Vögeln kommen auch Qualzuchten vor – hier eine Auswahl:
- Federhaube bei Wellensittichen und Kanarienvögel: Als kritisch wird das Merkmal der Federhaube bei Wellensittichen und Kanarienvögeln gesehen. Man unterscheidet zwischen einer Spitzhaube (steil nach oben stehende Federn an der Stirn), einer Rundhaube (auch Beatle-Frisur genannt, Federn wachsen kreisförmig vom Kopf nach unten) und Halbrundhaube (wie ein Pony, Vogel hat nur an der Stirn nach unten wachsende Federn). In vielen Fällen beeinträchtigt die gezüchtete „Frisur“ das Sichtfeld, was zu Augenentzündungen führen kann. Die Struktur der Feder ist so verändert, dass nach der Mauser die neue Feder schlecht sprießt und es nicht schafft die Haut zu durchdringen. Dann bilden sich schmerzhafte Abszesse unter der Haut. Durch die Genveränderung kommt es auch immer wieder zu abnormen Gehirnvergrößerungen und damit verbundenen zu krankhaften Flüssigkeitsansammlungen, die zu Gehirnblutungen führen können. Die Gehirnvergrößerungen sorgen ebenfalls dafür, dass manche Tiere unter Verhaltensbeeinträchtigungen und Gleichgewichtsstörungen leiden.
- Haubenente: Mit ihrem Federpuschel auf dem Kopf wirkt es fast so, als hätte die Haubenente eine Krone auf dem Kopf. Doch auch hier kommt es immer wieder zu schlimmen Gendefekten, die sich stark auf die Gesundheit des Vogels auswirken. Zu den Missbildungen im Bereich des Kopfes gehören Hirndeformationen, Schädeldefekte und Hirnbrüche, sowie offene Schädel unter der Haube. Man kann sich vorstellen zu welchen Schmerzen das führen kann. Auch der Bewegungsapparat ist oft sehr beeinträchtigt.
- Kropftaube (oder Kröpfer): Während Artverwandte (etwa Ringschläger oder Formentauben) einen kaum erkennbaren Kropf ausweisen, ist dieser bei der Kropftaube überproportional groß. Die Aussackung der Speiseröhre am Hals befindet sich unmittelbar vor dem Brusteingang und wird von der Kropftaube im Übermaß mit Luft befüllt und aufgeblasen. Das „hypertrophierte Imponierverhalten“ ist angezüchtet und stellt ein völlig übertriebenes Imponiergehabe dar. Leider leiden die Kröpfer häufig an einer schmerzhaften Entzündung des Kropfes. Gründe dafür sind Übersäuerung oder Fäulnisbildung des Kropfinhaltes. Im schlimmsten Fall kann die Kropfwand reißen.
Tipps vom Deutschen Tierschutzbund
Lisa vom Deutschen Tierschutzbund hat für künftige Tierhalter:innen ein paar nützliche Ratschläge:
Worauf sollten Tierfreunde achten, wenn sie sich einen Hund oder eine Katze zulegen?
Es muss nicht immer ein Rassetier sein. In den dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossenen Tierheimen wartet ständig eine große Zahl von Hunden, Katzen und anderen Tieren darauf, ein schönes Zuhause zu finden. Ansonsten gilt: Bestenfalls sollte man keine Qualzuchtrassen kaufen und schon gar nicht übers Internet. Wenn es unbedingt eine bestimmte Rasse sein soll, lohnt sich übrigens ebenfalls ein Besuch im nächsten Tierheim. Denn aufgrund des illegalen Welpenhandels, aber auch durch zu hohe Behandlungskosten
sind manchmal eben jene Qualzuchtrassen auch im Tierheim zu finden.
Was macht seriöse Züchter:innen aus?
Sie halten nur eine Rasse, höchstens zwei. Sie haben nur wenige Würfe gleichzeitig, damit
sie sich gut um alle Jungtiere kümmern können. Welpen werden frühestens mit acht Wochen
abgegeben und Tierinteressent:innen werden nach ihren Wohn- und Lebensverhältnissen
gefragt, denn den Züchter:innen liegt das Wohlergehen der Tiere am Herzen. Die
Jungtiere sind nachweislich tierärztlich untersucht, vollständig entwurmt, geimpft und gekennzeichnet.